Das Bewusstsein darüber, dass das eigentlich Interessante die Art und Weise ist, wie die einzelnen Systemmitglieder miteinander kommunizieren, zeichnet systemisches Denken aus. Und: dass es im Grunde gar nichts anderes als Systeme gibt. Wir werden automatisch Teil eines Systems, indem wir mit anderen „Elementen“ kommunizieren. Dadurch nehmen wir auch Einfluss auf andere und werden von anderen beeinflusst. Allein unsere Anwesenheit bewirkt schon etwas und eine Frage an den anderen stellt bereits eine Intervention dar, weil sie im anderen etwas auslösen, anregen, in Gang bringen kann.
Da alles miteinander verwoben ist, kann man im Grunde nichts isoliert betrachten – d.h. man kann es, aber dann blendet man eine ganze Menge von dem aus, was wichtig zum Verständnis der Situation ist. Es macht z.B. wenig Sinn, wenn wir als Behandler den Patienten aus seinem sozialen System isolieren und nur ihn als Gegenüber akzeptieren, da der betreffende Mensch neben der Patientenrolle noch viele weitere Rollen inne hat und in andere Systeme eingebunden ist. Sieht der Arzt sich als „Anwalt des Patienten“, so läuft er immer Gefahr, letztlich am Patienten vorbei zu behandeln.
Ein Systemiker kann daher beim Erstkontakt fragen, wer in der Familie am meisten darunter leidet, dass der Patient bald sterben wird – dies ist nämlich nicht unbedingt der Patient selbst, und diesem ist dann mehr geholfen, wenn man ihn in Ruhe lässt und sich statt dessen um die Angehörigen kümmert.
Wenn der Patient „non-compliant“ erscheint, oder die Angehörigen „schwierig“ sind, ist das immer ein Hinweis darauf, dass wir etwas Wichtiges im Patienten-System übersehen haben. Wir haben dann möglicherweise Entscheidungen getroffen, die nicht im Einklang mit der Patientenfamilie sind. Das heißt nicht unbedingt, dass die Entscheidung selbst grundsätzlich falsch war, aber auf jeden Fall, dass zu wenig mit der Familie kommuniziert wurde. Auch am Lebensende werden wichtige und einschneidende (medizinische) Entscheidungen getroffen. Das Familiengespräch ist daher fester Bestandteil der Palliativbehandlung.
Da wir als Behandler nicht dem primären Patientensystem zugehören, dessen Geschichte nicht kennen und nur zeitweise und situations- bzw. aufgabengebunden „zugeschaltet“ sind, gelten folgende Aspekte systemischer Grundhaltung:
- Allparteilichkeit
- Wertneutralität
- Ressourcenorientierung